Genre: Abenteuer
Investierte Zeit: 2 Wochen
Grundstein: Eine Legende, die von Escalus
Der Baum der Sagen
Lass mich dir eine Geschichte erzählen,…
Vorbei an den unbezwingbaren Zwillingen, den Knochen der Erde, wie sie seit Jahrhunderten über das Kaiserschloss wachen.
Entlang dem strömenden Fluss, der aus der höchsten Quelle, hoch über den Wolken, entspringt, die steilen Felswände im freien Fall bewältigt und sich am Boden schlängelnd durch die Hügelschaar bewegt.
Über den ruhenden See hinweg, den der Fluss tränkt, unter einer steinernen Wölbung hindurch, stets im Geleit des Wassers, dem Strom folgend durch die engen Schluchten, in denen der Wind stille Lieder singt.
Durch den schwimmenden Wald, stets folgend dem Schein der Fackeln, denn sie weisen dir den Weg zu unendlicher Weisheit.
Inmitten von glitzernder Wasserpracht, wurzelt der Baum der Sagen.
Seine Rinde ist älter als diese Welt und ihr wohnt eine magische Kraft inne, auf die selbst die Götter neidisch sind. Sein Wissen übersteigt jegliche Vorstellungskraft, seine Wurzeln sind mit den Bäumen allerorts verbunden. In seinem alten Holz haust ein uralter Geist der eine uralte Sprache spricht. Sein Wissen teilt er nur mit denjenigen, die in der Lage sind, diese Sprache zu verstehen. Diese Auserwählten nennt man Shyre, Priester, die dem Geist dienen und sein Wissen mit der Menschheit teilen.
Und solltest du einmal nicht weiter wissen, verzehrt von Zweifeln und Gewissensbissen, zögre nicht und komm vorbei, denn der Baum antwortet jedem, wer du bist und was du getan hast, ist ihm allerlei.
Kapitel 1
Der Wind ging seine übliche Runde. Huschte fröhlich summend durch wirre Äste und Zweige, durch Blätter und Sträucher, ließ sie knarren und knacksen, rauschen und rascheln. Er brach sich in den vielen Wurzeln allerseltsamster Formen, die aus dem Wasser ragten, gab hohe wie auch tiefe Töne von sich. Sang einen Kanon mit seinem schallenden Echo während er über das Wasser fuhr und es zum Beben brachte, sodass es Wellen warf, die klein anfingen und immer größere Kreise zogen, bis sie platschend gegen den Holzsteg schlugen, gegen die Bote, die dort angekettet waren und sie zum Wanken brachte. Er strich über die Blätterdächer, nahm ein paar Zweige mit sich, trug sie und tanze mit ihnen, bis sie zu schwer wurden, dann verlor er das Interesse, ließ sie fallen und zog unbekümmert pfeifend weiter. Die Augen geschlossen streckte ich meine Hand gen Himmel und schnappte mir den im Stich gelassenen, fallenden Zweig. Er war sehr dünn und leicht, glich beinahe einem Halm. Ich entfernte ein paar Blätter um ihn mir besser in den Mund stecken zu können. Ein damals dummer Gedanke der Angewohnheit geworden war. Dann kehre ich zur Meditation zurück. Das Ziel war, meinen Geist zu befreien. Recht vage, nicht wahr? Als ich die Schamanin damals fragte, was sie damit meine, hatte sie mir nur geantwortet: „Loslassen Kind, von allem was dich an diese Welt bindet, und Festhalten, an allem was ungebunden in dieser Welt ist.“ -------- Was soll das bitte heißen?! Warum fühlt sich jede halbwegs Weise Person stets dazu verpflichtet, es dem Gegenüber so schwer wie möglich zu machen, indem sie in Rätseln spricht die nicht einmal Sinn ergeben? Im Ernst! Wann fällt ihnen dieser Quatsch ein?! Die haben eindeutig zu viel Freizeit!
Ich wäre sicher im Stande gewesen, dieses Rätsel zu lösen, wenn man mich nur in Ruhe meditieren ließe. Wir befinden uns hier am langweiligsten Ort der Welt, in einem Dorf, das genau zwölf Einwohner hat, sieben Erwachsene und fünf Kinder. Und dennoch ist es mir unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen! Hatten diese Kinder denn nichts besseres zu tun!? Ich knirschte mit den Zähnen und versuchte mögliche Wutausbrüche zu verhindern.
„Was tut sie da?“.
„Denkst du sie ist krank?“.
„Wieso kaut sie auf dem Ast rum?“.
„Ich schätze mal sie ist krank.“
„Sag ich doch!“.
„Was hat sie denn?“.
„Na eine Krankheit!“.
„Was für eine?“.
„Vielleicht schlechte Laune.“
„Ist das eine Krankheit?“.
„Muss es sein. Meine Mama sagt immer: Schlechte Laune ist ansteckend!“.
„Ohje! Wird sie sterben?“.
„Ich glaube ja.“
„Wie traurig!“.
„Die Arme!“.
„Ohje…“.
Es folgte zwei Sekunden Stille.
„Naja, wollen wir Ballspielen gehen?“.
„AU ja!“, riefen alle fünf im Kanon und liefen kreischend davon. Ich seufzte. Endlich. Aber nun war die Konzentration auch schon dahin. Ich würde morgen mit der Übung fortfahren müssen. Ich öffnete die Augen und vergewisserte mich von der Abwesenheit der Kinderschaar. Dann stand ich auf und strich meine Robe glatt. Es war die Traditionelle Robe der Shyre. Sie bestand aus einem Poncho-ähnlichen Oberteil aus rauem Stoff und einem darunterliegendem, langen Kleid. Es war in den Traditionellen Farben Eshyres: grün, rot, blau und weiß. Je nach Status als Shyre tendierten die Farben. Die Schamanin des Dorfes Eshyre trug eine Robe die hauptsächlich grün und weiß beinhaltete. Diese Farben symbolisierten ihre innere wie äußere Reinheit und standen für die Hoffnung, die sie den Menschen durch ihre Dienste gab. Denn sie diente Binoku, dem Gott der Weisheit, und es war ihre Aufgabe, die Menschen zu erleuchten. Ich, in meinem bescheidenen Fall, war weit davon entfernt die Menschen zu erleuchten. Ich konnte mich nicht einmal selbst erleuchten! Ein wenig enttäuscht bin ich davon schon. Ich hatte, als Priorin der Schamanin, das heißt, ihrer ersten (und in diesem Fall auch einzigen) Schülerin und zukünftigen Nachfolgerin, mehr von mir erwartet. Als Shyre wird man nicht geboren. Binoku wählt, ob du die Ehre haben darfst, seine Sprache zu erlernen und somit unendliches Wissen zu erwerben.
Ich wurde erwählt, das ist lange Zeit her. Ich war gerademal ein paar Monate alt, da entschied meine Mutter zu Binoku zu pilgern, wie viele Mütter es tun, in der vagen Hoffnung, dass eines ihrer Kinder erwählt wird. Er wählt nur unter frisch Geborenen aus, und die, die er erwählt, in denen er Potenzial sieht, um die kümmert er sich und lehrt sie bis an den Rest ihres Lebens. - Nun, nicht direkt kümmern. Er ist immerhin ein Geist. Er überlässt sie der Obhut der Schamanin und diese kümmert sich um das Kind.
Ich lebe nun also schon seit ich denken kann an diesem Ort. Manche würden ihn als Idyllisch und heilig bezeichnen, ich nenne es langweilig und fad. Abgesehen von den Gesprächen mit Binoku gab es hier nicht viel zu tun. …. Oh- Mist! Ich schreckte aus der Trance auf, in die ich gefallen war, griff mir an den Hals und zog eine Kette heraus. An ihr funkelte eine silberne Taschenuhr. „Oh mi-ist!“, rief ich, kümmerte mich nicht weiter um die Uhr, deren Zeiger auf Sieben stand, sondern raste zum Steg, band eines der Boote los, griff mir das Ruder und paddelte um mein Leben.
„Du bist spät“, grummelte die kindliche Stimme des Geistes, der auf einem der oberen Äste des Baumes saß, sich mit dem Rücken gegen den breiten Stamm lehnte, sein Bein gelassen baumeln hing, in den Händen einen Grashalm, auf dem er bis eben eine leise Melodie gespielt hatte. Vor mir ragte der älteste Baum dieser Welt gen Himmel, der bereits seit der Entstehung dieser Erde in eben jenem Fleck Boden wurzelte. Unzählige Legenden erzählten die Geschichte seiner Entstehung, aber ich bezweifelte, dass auch nur eine davon der Wahrheit glich. Was aber wahr ist, ist das in dieser uralten Rinde ein Geist hauste. Weder göttlicher noch menschlicher Herkunft. Seine Form entsprach der eines Kindes. Er trug eine seltsame Robe die aus Blättern bestand und einen Strohhut, der aufgrund seines weiten Umfangs und der Schatten die er warf einen Blick in die Augen des Geistes unmöglich machte.
Keuchend ging ich auf die Knie. „Ich-ich habe-…die Zeit“, keuchte ich und schluckte. „Ich weiß. Sag, ist dir die Meditation gelungen?“, fragte er, obwohl er die Antwort längst wusste. Es war ein ewiges Spiel. Es war unmöglich Binoku, so nannte man den Geist, anzulügen. Ich hatte es früher, mit etwa acht bis neun Jahren, unzählige Male versucht, in der Überzeugung, ein kleines Kind wäre nicht in der Lage, Wahrheit von Lüge unterscheiden zu können. Es war damals schwer verständlich gewesen, dass ein gleichaltriges, eventuell sogar jüngeres Kind mehr wissen könnte als ich. Erst später wurde mit klar, dass unser Altersunterschied fast nicht größer sein könnte. Und obwohl ich den Kindern im Dorf wenig Beachtung schenkte, hatte ich doch eine tiefe Bindung zu dem Geist geknüpft. „Es ist hoffnungslos. Ich weiß nicht, ob ich es jemals meistere“, stöhnte ich und krabbelte zu den Wurzeln des Baums, wo ich immer saß, wenn wir uns unterhielten. Ich lehnte mich stets an eine weit herausragende Wurzel und legte meine Füße ausgestreckt auf ein weiteres Wurzelpaar gegenüber.
„Das wirst du. Es ist deine Bestimmung. Jeder Mensch trägt sie in sich, jeder Mensch muss sich nach ihr richten, wenn er Glück finden will“, sprach Binoku.
„Klingt nicht sehr ermutigend. Und wenn man sich nicht nach ihr richten will?“, fragte ich und kaute an dem Halm in meinem Mund herum.
„Der Mensch kann sein Schicksal akzeptieren und er kann es ablehnen. Ersteres wird ihm viel Leid ersparen. Wenn er lernt, seine Gaben zum Besten zu entwickeln und zum allgemeinen Wohl zu gebrauchen, so wird das Schicksal ihm nicht feindlich gesinnt sein“, beantwortete er meine Frage.
„Hm, und wie erkennt man, was das Schicksal von einem will?“, fragte ich zögernd.
„Stell dir vor, das Schicksal ist der Wind und du bist der Same einer Blume. Er reißt dich fort, trägt dich eine Zeit lang, lässt dich fallen, nimmt dich wieder mit sich. Am Ende deiner Reise landest du auf einem gesunden Stück Boden und erblühst an eben jenem Fleck, zu dem dich der Wind getragen hat, zu einer stolzen, wunderschönen Blume“, summte er. Ich verdrehte lachend die Augen. „Das beantwortet nicht wirklich meine Frage!“, rief ich und blickte lächelnd nach oben, zu dem Ast auf dem der Geist saß.
„Oh doch. Aber wenn du es gern deutlicher hättest,…“.
„Deutlicher wäre nicht schlecht“, stimmte ich zu und grinste keck.
„Das Schicksal sendet dir Zeichen. Du musst sie nur zu lesen wissen. Jeder Mensch hat eine Bestimmung. Damit der Kreislauf des Lebens funktioniert, muss der Mensch eins mit der Natur werden. Wir sind alle nur Teil einer höheren Ordnung. Wenn ich wir sage, meine ich natürlich euch. Euch Menschen“, sprach er, und mir war, als könnte ich einen arroganten Unterton heraushören.
„Alles bleibt an uns hängen!“, rief ich empört.
„Das ist das Schicksal des Menschen. In Unwissenheit alles über sich ergehen lassen zu müssen.“
„Reizend,…und wie liest man die Zeichen des Schicksals?“, fragte ich, noch immer nicht zufriedengestellt.
„Indem du dir selbst vertraust, deinem Verstand und deiner Vernunft. Indem du gebrauch machst von dem, was dir die Götter gaben. Durch den Gebrauch der Vernunft wirst du ein sittliches Leben führen. Und ein sittliches Leben, ist ein Glückliches Leben.“
Ich runzelte die Augenbrauen. „Hm“, grummelte ich und schwieg eine Weile.
„Ich habe eine Frage für dich, junge Priorin“, sprach Binoku plötzlich.
„Die wäre?“, fragte ich und dachte nicht weiter über Schicksal, Vernunft und Sittlichkeit nach.
„Was ist das Böse?“, war die Frage. Ich zögerte. Das Böse? -
„Böse ist, wer böses tut. Es ist böse zu töten. Daher ist derjenige, der tötet, böse. Es ist auch böse zu stehlen und zu lügen“, sprach ich zögernd.
„Du sagst also, jemand sei böse, sobald er eine Tat vollbringt, die böse ist. Doch du nanntest mir eine Schaar von Bosheiten, ich jedoch suche nur nach DEM Bösen. Mord ist lediglich ein Beispiel.“
„Aber wenn jemand mordet, ist er böse!“, sprach ich verwirrt.
„Böse, ja Priorin, genau wie jemand der stiehlt, lügt und ehebricht. Aber DAS Böse?“, es folgte eine kurze Stille.„Viele Bosheiten haben wir gefunden; die eine aber, die in allen diesen ist, sie in sich vereint, können wir nicht finden“, stellte Binoku fest. Ich überlegte. Wenn „Das Böse“ nicht durch „böses“ bewiesen werden konnte, sondern eine Definition benötigte, die all diese Taten in sich vereint,… Oh,… Kopfschmerzen,…!
„Das Böse,… ist das Gegenteil vom Guten“, sprach ich, und bereute es im selben Moment. Ach, Antworten brachten immer nur neue Probleme mit sich!
„Du benutzt den Begriff des Guten. Weißt du denn, was unter ihm zu verstehen ist?“, fragte Binoku, die Interrogation schien kein Ende zu nehmen.
„Das Gute ist in jedem Menschen. Es ist gut, hilfsbereit zu sein, freundlich und großzügig…aber das sind ja wieder nur Beispiele“, stöhnte ich genervt.
„Wenn aber ein Mensch von dem Guten in sich, wie du sagst, keinen Gebrauch macht,…?“.
„Dann ist er Böse. Das heißt das Böse ist die Abwesenheit oder Ignoranz des Guten!“, rief ich. Binoku schwieg.
„Es ist nicht viel, aber es ist etwas. Belassen wir es dabei. Soll ich dir die Geschichte erzählen, wie das Böse in Form von Dämonen zum ersten Mal diese Welt betrat?“, sprach er und seine Stimme nahm einen weniger strengen Ausdruck an.
„Gerne“, seufzte ich und lehnte mich zurück. Ich liebte seine Geschichten…
„Der erste Dämon, der diese Welt betrat, hieß Shal’Rahal. Er war der mächtigste und böseste Dämon, den die Welt je gesehen hatte. Vor etwa sechshundert Jahren existierte ein Hirte namens Hedan. Er war eines von sieben Kindern einer armen Hirtenfamilie. Schon als Kind musste er viel über sich ergehen lassen. Sein Vater war dem Alkohol hoffnungslos verfallen und seine Mutter schenkte nur den jüngeren Geschwistern ihre Aufmerksamkeit. Hedan war der zweitälteste. Er musste stets an seiner Vater statt die Schafe hüten, und zuhause jeden Groschen den er sich mühevoll verdient hatte an den trunksüchtigen Vater abtreten. Seine Gedanken waren fortan von Hass förmlich zerfressen, die sich gegen den räuberischen Vater, aber auch die lieblose Mutter richteten. Es wurde Winter, die Nahrungsvorräte wurden knapp und sie ganze Familie musste Hunger leiden. Das wenige Geld, dass durch Hedans Arbeit in die Familiekasse floss, beanspruchte der Vater für sich. Von Hass getrieben konnte Hedan diese Ungerechtigkeit nicht länger ertragen. Er erstach den Vater. Die Mutter, entsetzt kreischend, nahm ihn und schlug auf ihn ein. Sie hatte jedoch seinen Wahnsinn unterschätzt und auch sie wurde von ihrem eigenen Sohn niedergestochen. Seine Geschwister schrien hysterisch auf, als sie ihre Mutter zu Boden fallen sahen. Der älteste Sohn ging auf Hedan los. Doch dieser war stärker, überwältigte ihn und stach auf ihn ein. Kein Familienmitglied überlebte. Selbst die jungen Geschwister starben durch Hedans Hände. Befleckt durch das Blut Unschuldiger, den Verstand getränkt in Hass und Wahn, begann etwas in Hedan zu erwachen. Eine uralte, dunkle Kraft, die in allen Menschen haust. Böse taten ernähren diese Kraft, lassen sie wachsen, erstärken. Und mit der Zeit, da Hedan immer mehr grauenhafte Taten vollbrachte, entstand in ihm der Dämon Shal’Rahal, ein grausamer und fürchterlicher Teufel, wie die Welt noch keinen gesehen hatte. Er löste sich von Hedans Körper und fraß jeden Menschen, der seinen Weg kreuzte. Viele Menschen starben, tausende und abertausende. Niemand vermochte ihn zu stoppen. Je mehr Menschen er verschlang, desto größer und stärker wurde Shal’Rahal. Letzten Endes erforderte es das Werk der Götter, um Shal’Rahal zu verbannen. Sie sandten einen mutigen Helden aus, der für Friede sorgen sollte. Durch die Hilfe einiger mutiger Menschen gelang es ihm, dem noch unerfahrenen Dämon eine Falle zu stellen. Aber einen Dämon kann man nicht einfach töten. Er musste dort sterben, wo er entstanden ward. Im Herzen eines Menschen, der so rein und gut ist, dass diese Reinheit das schwarze Herz des Dämons zerstörte. Schließlich gelang es dem Helden, Shal’Rahal in sich selbst zu versiegeln und so den ersehnten Frieden wieder herzustellen. Das Volk dankte es ihm und ernannte ihn zum ersten Kaiser. Seine Kinder folgten ihm auf den Thron, bis zur siebten Generation hin, die vor kurzem angebrochen ist. Mit dem Tod des Kaisers Sestus und der Thronbesteigung seines Sohns, dem Siebten der Göttlichen Kaiserline.“
Ich schwieg. Welch eine traurige Geschichte. „Was geschah mit Hedan?“, fragte ich und blickte auf zu den Ästen Binokus, die sich leicht im Wind beugten. „Der Dämon hatte ihn verzehrt. Er sprengte seinen Körper. Hedan starb“, sprach Binoku.
„Oh,… es kann eben nichts Gutes vom Bösen kommen. Dennoch ist es traurig, dass er durch die Umstände quasi dazu veranlasst war. Wenn er nicht in einer solch schlechten familiären Umgebung aufgewachsen wäre, wer weiß, vermutlich wäre diese Tragödie nicht passiert“, murmelte ich.
„Vermutlich nicht. Aber auch er hätte sie verhindern können. Es fehlte ihm nur an Geistesstärke. Hätte er davon etwas besessen, wäre er vermutlich nicht gestorben“, sagte Binoku. Ich runzelte die Augenbrauen.
„Wieso?“, fragte ich. „Hätte er sich gegen den Dämon in sich wehren können?“.
„Hätte er genug Geistesstärke besessen, hätte er sich von dem Dämon nicht aus seinem Körper vertreiben lassen. Priorin, weißt du, was Schatten sind?“, fragte Binoku. Ich schaute verwundert drein. „Schatten sind die Abbildung von dem Gegenstand oder Körper zu dem sie gehören. Wenn das Licht –„, begann ich zu erklären.
„Nicht diese Schatten. Sie mögen etwas damit zu tun haben, aber im Grunde sind sie anders. Schatten nennt man die Wesen, ursprünglich Menschen, die durch ihre bösen Taten einen Dämon in diese Welt setzten. Wenn dieser Dämon stark genug ist, um den menschlichen Geist aus seinem Körper zu vertreiben, dieser Mensch jedoch ein gewisses Maß an Geistesstärke besitzt, wird er zwar aus seinem Körper vertrieben, stirbt jedoch nicht. Er ist fort an nur noch der Schatten seines ursprünglichen Selbst“, erklärte Binoku. Ich staunte. „Und wie sehen sie aus, diese Schatten?“, fragte ich.
„Sie sind weder menschlich noch dämonisch. Ihre Form entspricht der Form des Dämons. Jeder sieht anders aus. Die stärkeren Dämonen besitzen die größeren Hörner. Ein Schatten verändert sich im Laufe der Zeit, je nachdem ob die Macht des Dämon wächst oder abnimmt. Der Dämon jedoch, der im menschlichen Körper haust, verändert seine Form nicht. Alle Welt wird den Unterschied nicht bemerken und ihn für den Menschen halten, aus dem er entstand.“
„Das heißt, es handelt sich um eine Art Tausch? Der Dämon bekommt die menschliche Form während der Mensch in der Form des Dämons gefangen wird?“, rief ich empört.
„Genau, Priorin“, stimmte mir Binoku zu.
„Hm und wenn der Dämon nun stärker wird, dann verändert sich das Aussehen des Schattens. Das heißt, sollte es dem Dämon misslungen sein, seinen „Erschaffer“ bei der Übernahme zu töten, muss er sich keine Sorgen machen, denn er hat vor seinem Schatten kaum etwas zu fürchten. So wie die vermutlich aussehen, verbringen sie den Rest ihres Lebens versteckt“, sprach ich und drehte den Halm in meinem Mund.
„Nicht ganz. Ein Dämon hat seinen Schatten sehr wohl zu fürchten. Er mag zwar bedrohlich aussehen, sodass er kaum Verbündete finden wird, die ihm helfen könnten, seinen Körper zurückzubekommen. Doch bei dem Übergang in die Schattenform verliert der Dämon einen Teil seiner Macht an den Schatten. Das heißt dieser ist nicht völlig Mittellos“, klärte mich Binoku auf.
„Wie kann denn ein Schatten seinen Körper wiedererlangen?“, fragte ich neugierig.
Binoku lachte. „Das, junge Priorin, besprechen wir ein andermal. Wenn sie Zeit reif ist.“
„Na schön“, brummte ich enttäuscht und streckte meine Arme aus. „Ah“, seufzte ich und stand auf. „Na dann, ich denke, die Schamanin erwartet mich“, sprach ich und strich meine Robe glatt. „Das tut sie wahrlich. Seit bereits zehn Minuten“, sprach Binoku. „Was!?“, rief ich entsetzt und griff mir meine Taschenuhr, die noch immer lose um meinen Hals hing. Oh Schreck,… schon so spät! „Bis dann Binoku!“, rief ich und hastete zum Boot.